Seit Dienstag bin ich krank. Gestern bin ich deswegen auch zu Hause geblieben. Aber heute Nacht habe ich gut geschlafen, es gibt dringende Dinge zu erledigen, also werde ich eine begrenzte Anzahl von Stunden arbeiten. Dabei mit dem Wagen fahren, um wieder Kisten mit Töpfen und Tassen in die neue Wohnung zu bringen. Am Dienstag habe ich damit angefangen, während ich auf den Handwerker wartete. Es kommen jetzt fast täglich Handwerker, um das durchgerostete Rohr zu ersetzen, um einen Abfluss zu montieren, um Rauchmelder anzubringen. Nur der Tischler, der dafür sorgen soll, dass die Tür zu meinem Zimmer richtig schließt, meldet sich nicht. Dafür entdecke ich, dass die Ablage unter dem Spiegel im Bad schief ist. Es beginnt mit einem Finger Breite Abstand zu den Fliesen und endet mit zwei Fingern Abstand.
Zwischen Umzug und Handwerkern bleibt das Unbegreifliche unfassbar. Nur die Art es nicht zu begreifen mäandert.
Seit ich bei Mely Kiyak gelesen habe, dass es bei den Aleviten Brauch ist, dass die Kinder den toten Eltern die Hand auf den Körper legen, um sie hinüber zu geleiten, wünsche ich mir das von meinen Kindern. Sie sollen meinem Leichnam die Hände auflegen, um mich so nach drüben zu geleiten. Aber erst einmal wird Kind 1 schon unfassbare 22 Jahre und Kind 2 bleibt eine Quelle steter Sorge.
Nahezu jeden Tag laufe ich hier die Treppen hinauf und wieder herunter und finde Dinge, die ich längst vergessen hatte. Ein Hängeregister voll mit Sanisbar. Unzensierte über 100 Seiten. Ich stelle mir, wie jemand nach meinem Tod dieses Register findet und sich festliest.
Das Zimmer oben sieht fast aufgeräumt, fast geräumt aus. Ich habe die Regale abgeschraubt, die Kommode geleert, Kisten nach unten in eins der ehemaligen Kinderzimmer gestellt. Ich frage mich immer wieder, wie so viel Kram in ein einziges, relativ kleines Zimmer passt.
Ich habe Lisa Goldschmidts „Ursprünge“ noch einmal gelesen, eins der Bücher, die ich immer wieder anders lese, bei dem sich immer neue Lesearten entwickeln, eines dieser Bücher, mit denen ich nicht fertig werde. Ich lese allgemein zu wenig und zu viel durcheinander. Nachdem mir der Band von Nancy Campell mit Gedichten, die Anja Utler übersetzt hat, so gut gefallen hat, habe ich mir „Fünfzig Wörter für Schnee“ ausgeliehen, was mich aber nicht annähernd so fasziniert. „Überwachen und Strafen“ von Foucault lese ich immer noch. Vielleicht werde ich niemals fertig mit der Lektüre, oder es ist einfach gerade kein guter Zeitpunkt dieses Buch zu lesen. Also lese ich „Meine Mutter lacht“ von Chantal Ackermann und verliere mich sofort in der Sprachmelodie.
Ich würde mich gern wieder mehr um mich kümmern. Mehr Zeit und Sorgfalt auf meine Ernährung verwenden, auf Bewegung und die Art mich anzuziehen.
Les Misérables als Serie gesehen, an einigen Stellen habe ich mich gefragt, wie viel besser das Victor Hugo wohl im Buch gelöst hat. Denn das Buch, muss ich zu meiner Schande bekennen, habe ich noch nicht gelesen.
Als ich anfing über die Sache mit meinem Kind zu schreiben, dachte ich, ich kann nur so damit zurechtkommen, nur indem ich darüber schreibe. Jetzt seit Wochen kein Satz. Es ist vollkommen ungewiss, ob ich jemals weiter schreiben werde, ob das alles nicht vielleicht eher das Ende meines Schreibens an sich ist.
Liebe Elke, soviele verschiedene Informationen über dein jetziges Sein, ich mag dir zuerst eine gute Besserung wünschen und dich bitten langsam zu machen, gut zu dir zu sein.
Die Vorstellung der Hand eines meiner Kinder zur Begleitung auf die andere Seite, spricht mich sehr an. Aber ob das meine Kids schaffen würden?
Und natürlich hoffe ich, dass du nie aufhörst zu schreiben.
Liebe Grüße, Ulli
Bitte nicht. Aufgeben ist keine Option. wenn man so schreiben kann wie du, dann halte ich es für eine Pflicht weiter zu schreiben. Egal wie schwer die Umstände auch sein mögen. Denn verstummt man, verstummt auch für Hoffnung. Und was bleibt dann noch? in Zeiten wie diesen?
Ich bin fast sicher, dass das wieder kommt, das Schreiben – auf die Gefahr hin jetzt von mir auf dich zu schließen.
Es gibt stets Ebbe und Flut. Ich denke eigentlich immer, es gibt nichts mehr zu schreiben. Und dann gibt es eben doch wieder was. Wer umzieht, hat viele Wege zu gehen (auch die alten, vergessenen). Das ist mehr, als man denken mag. Und Lesen ist ja auch eng mit dem Schreiben verbunden. Ungewissheit habe ich für mich immer als Basis fürs Schreiben erlebt. Nicht als dessen Endpunkt.