(04)

Es ist jetzt alles sehr staubig, sehr chaotisch hier, während draußen seit Tagen eine absolute Klarheit herrscht. Seit der Nebel weg ist, herrscht Frost und über dem Frost leuchtet die Sonne vom restlos blauem Himmel. Hier stehen Kartons an den unmöglichsten Stellen, während Ecken, die seit Jahrzehnten verhüllt waren, plötzlich freigelegt sind. Jeder Tag ist jetzt ein heruntergezählter Tag bis zum endgültigen Abschied. Heute Nacht habe ich von dem Magnolienbaum in der neuen Bleibe geträumt. Irgendjemand erzählte mir, dass er erst vor drei Jahren gepflanzt wurde und selbst im Traum staunte ich ungläubig darüber, dass ein Baum in so kurzer Zeit eine so stattliche Größe erreichen kann, während mein Gegenüber erklärte, das sei ganz normal.

Vielleicht hat der Traum mit der Möglichkeit oder Notwendigkeit über sich hinaus zu wachsen zu tun, vielleicht war es auch einfach nur ein Traum.

Jedes Mal wenn ich die tropfenden Wasserhähne im noch Zuhause zudrehe, freue ich mich auf die Mischbatterien in der neuen Bleibe. Jedes Mal, wenn ich hier schnell noch in den Discounter gehe, um irgendetwas Vergessenes, oder irgendetwas worauf ich gerade Lust habe, zu besorgen, weil es keine 5 Minuten Weg dorthin sind, denke ich dass mir das fehlen wird. Der tägliche Weg zur Arbeit die Straße hinunter, der mit Erinnerungen an die Kindergarten und Schulwege meiner Kinder gepflastert ist, wird es gut sein, diesen Erinnerungen nicht mehr täglich zu folgen, oder werden sie mir fehlen?

Dabei ist klar, dass mir einiges fehlen wird und ich anderes zu schätzen wissen werde. Warum dann trotzdem manchmal fast panische Angstwellen, die mich ergreifen und für Minuten sowohl denk- als auch handlungsunfähig machen? Vielleicht weil ich inzwischen längst ein Baum bin, der seine maximale Größe erreicht hat, und jetzt beginnt sich auf sein Ende vorzubereiten. Ich weiß es nicht. Vielleicht (ziemlich sicher sogar) ist das melodramatisch. Ich habe einfach Angst vor Veränderung, obwohl ich sie mir so lange gewünscht habe, und obwohl ich weiß, dass das Leben genau daraus besteht.

7 thoughts on “(04)

  1. @muetzenfalterin Ich staune immer wieder, wie du so Banales, Alltägliches wie einen Umzug und die damit verbundenen Veränderungen in so wunderschöne Worte kleiden kannst. Diese Gedanken sind mir – wegen des eigenen Umzugs vor einem guten halben Jahr – so vertraut. Ich wünsche euch nur das Allerbeste für den Umzug, für das Loslassen, für den Neuanfang. 💜

  2. Der erste deiner Beiträge, bei denen sich mein Widerspruch regt.
    ist man jemals ausgewachsen? Meine über ein Meter fünfzig hohe Avocadopflanze hat jetzt einen neuen Trieb entwickelt. Es ist interessant, weil er statt in die Höhe zu spießen weit in den Raum hineinzutragen beginnt. Ich glaube nicht daran, fertig zu sein, weil das Wachstum bleibt, auch wenn man morsch wird:)

    Ich verstehe den leisen Anflug von Melancholie beim Abschied nehmen und die damit verbundene Angst auch.
    Ich mag diese Lebensspanner sehr. Es fällt so viel von einem ab.Und das Wichtiges und Unwichtige sortiert sich .Vielen Dank für deine Texte. An schon einigen Tagen haben die mir den Tag gerettet. Grüße an den Magnolienbaum. Der Magnolienbaum den ich mal kannte, blühte zwei Mal im Jahr.

    1. Du hast natürlich Recht, ausgewachsen ist man nie, ich schrieb ja selbst: Melodrama. Dazu neige ich hin und wieder. Es ist schon viel besser geworden, früher war ich eine echte Drama-Queen. Morsches Wachstum ist vielleicht gar nicht so uninteressant, wer weiß… Grüße an die Avocadopflanze.

  3. Ich kann die Gedanken nachvollziehen, selbst habe ich in letzter Zeit ganz ähnliche, obwohl es bei mir noch ein paar Jahre dauern wird bis zum hoffentlich letzten Umzug. Und dann muss ich an meine Mutter denken, die mit meinem Vater und meinen Geschwistern endlich ins eigene Haus zog, und sagte: So, das war es nun. Endstation.

    1. Ja, es ist wirklich sehr ambivalent. Letzter Umzug hat etwas befreiendes, aber eben auch etwas Endgültiges. Ich bin so häufig umgezogen im Laufe meines Lebens und dieses Mal spüre ich sehr deutlich, dass es anders ist, dass mich dieser Umzug ständig an meine eigene Endlichkeit erinnert. Das ist manchmal “nur” melancholisch, manchmal aber auch regelrecht unheimlich.

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