„Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf.“ Klagenfurter Rede zur Literatur 2023 von Tanja Maljartschuk.

Das Spektakel um das Bachmann Wettlesen habe ich dieses Jahr so wenig verfolgt, dass selbst das Adjektiv „sporadisch“ sich wie eine Übertreibung anhört. Dabei gab es unter den eingeladenen Autor:innen durchaus Dichter, die ich interessant finde, die mein Interesse hätten wecken können, und es war auch nicht die Zeit, die fehlte, schließlich gibt es die Möglichkeit alles on demand nachzulesen und zu verfolgen, wann immer es einer passt. Vielleicht lag es ein wenig an der bestürzenden Rede von Tanja Maljartschuk, einer großartigen Schriftstellerin, von der ich erst vor wenigen Monaten ihren Essayband “Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus”, gelesen hatte. Die Ernsthaftigkeit, nein die Anspannung unter der Wut und Schmerz, Schmerz und Verzweiflung liegen mussten, mit der sie gelesen hat, war wie ein Schlag ins Gesicht. Es ging mir dabei sehr ähnlich wie nach dem Lesen von Yevgeniy Breygers Gedichtband „Frieden ohne Krieg“. Eine direkte Konfrontation mit dem, was Krieg bedeutet, der Krieg der anderen, an den ich mich immer wieder gewöhne. Ich verfolge die Nachrichten, bin entsetzt, ich versuche die Hoffnung nicht zu verlieren, aber eigentlich geht mein Leben genauso weiter wie vorher. Dieser Krieg ist schrecklich, aber er ist kein Teil meines Lebens. Und das macht mir die Rede von Maljartschuk erneut deutlich.

Aber diese Rede geht über die persönliche Ebene hinaus. Tanja Maljartschuk spricht von der Sprache. Davon, dass sie (gerade sie, die die Sprache so großartig beherrscht) das Vertrauen in die Sprache verloren habe, dass sie Angst habe vor der Sprache und sich daher als ehemalige, als gescheiterte Autorin betrachtet. Weil sie die Ohnmacht der Sprache erkennt, vielleicht auch ihre Verfügbarkeit. Dass Sprache Wundervolles hervorbringen kann, Utopien, Kunstwerke, aber eben auch Marschbefehle, Demagogie, Verführung der Massen. Sie spricht davon, wie wenig wehrhaft die Sprache ist, wie hilflos und ohnmächtig. Wie leicht sie sich in den Dienst von „Umbringern, Auslöschern, Verbrechern und Gaunern“ stellen lässt.

Ich verdanke alles in meinem Leben der Literatur, die ich mir als Blüte am Ast eines Baumes vorstelle. Einerseits ermöglicht sie die Fortpflanzung der Ideen, und doch fällt sie bei einem Unwetter als erste ab.“

Die Möglichkeit zu erzählen, auch von den blinden Flecken der Geschichte, von der anderen Seite, von den Opfern, ist zwar eine Möglichkeit der Beschädigung etwas entgegen zu setzen. Viel zu häufig ist es aber die Beschädigung dich sich letztendlich durchsetzt.

Denn aus der Schlacht gegen jene, die uns vernichten, verschlucken, versklaven, kontrollieren und demütigen wollen, kehren wir immer ein bisschen kaputt zurück. Manche erholen sich davon, manche nicht, manche, wie Aglaja Veteranyi, erzählen Märchen und gehen zugrunde.“

Denn das Schlimmste ist, dass die Sprache, die Geschichten und die Poesie scheinbar immer den bösen Mächten der Wirklichkeit unterlegen sind. Lange Jahre hat Maljartschuk zu einem verheerenden Massaker in ihrem Heimatort geforscht. Dort wurden jüdische Menschen zusammengetrieben und verbrannt. In einem Feuer, das acht Stunden lang brannte. Es gab lediglich einen einzigen Überlebenden. Und es gab das völlige Schweigen über diese Tat.

Das Feuer brannte acht Stunden wiederholt Maljartschuk im Gespräch mit ihrem Vater, und jeder, der diese Sätze liest, spürt, wie es weiterbrennt in ihr und nur der mögliche „Schnee im Kopf“ es vielleicht hätte einfrieden können. Was jetzt unmöglich scheint.

Sie kamen zu uns und zündeten ein Feuer an, das acht Stunden brannte, ist das viel oder wenig, Vater«, sagte ich, worauf mein Vater antwortete, ich sei verrückt und solle ihn in Ruhe lassen, 150.000 russische Soldaten stünden an der Grenze zur Ukraine. Und so treffen sie sich: die Literatur und die Realität. Und die Realität gewinnt jedes Mal, und die Literatur verliert, denn sie bietet die Rettung für einzelne, aber nie für alle zusammen. Sie ist schön, aber hilflos wie ein Wald der blühenden Bäume.“

Dem kann man scheinbar nichts entgegensetzen. Und doch sind diese Sätze der Beweis, dass die Literatur, die Sprache stark ist in ihrer Hilflosigkeit. Von diesem Widerspruch lebt vielleicht jegliche Kunst. Und man kann sich nur wirklich mit aller Macht wünschen, dass Tanja Maljartschuk mit ihrer Begabung vom Schrecklichen so zu erzählen, dass die Zuhörer:innen es annährend begreifen, sich irgendwann so weit von ihrer Beschädigung erholt, dass sie weiterschreiben kann. Hoffentlich auch den Roman mit dem Titel „Schnee im Kopf“, den sie seit dem Februar 2022 als endgültig unvollendet betrachtet. Denn wir, die wir leicht gleichgültig werden können und eigentlich immer in der Gefahr sind, Mitläufer zu werden, brauchen solche Geschichten. Immer wieder.

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