Relativ zu Anfang des Buches sagt der Therapeut etwas über Kinder in emotionalen Schwierigkeiten. „Die Eltern von Kindern in emotionalen Schwierigkeiten“, sagt er, „neigen dazu, sich schuldig zu fühlen, hoffnungslos – was haben sie falsch gemacht, was hätten sie anders machen können, wo ist alles auseinandergebrochen – und manchmal zeigen sie es, indem sie wütend werden.“
Es sind unterschiedliche Gedanken, die durch diesen Satz in Fluss kommen. Ich denke an ein Gespräch, das ich gestern geführt habe, in dem mir eine 42jährige Frau erzählte, dass ihr Leben vorbei sei, dass sie, so sehr sie sich auch bemühte, immer wieder scheiterte. U.a. haben wir über ihre Kinder geredet, die nach der Scheidung getrennt wurden, ein Sohn lebt bei ihrem Mann, der andere bei ihr. Ich hatte das Gefühl, sie würde sich vielleicht schuldig fühlen, weil ich mich gegenüber meinen Kindern ständig schuldig fühle. Und dann sagte sie: „Meine Mutter hat sich niemals schuldig, nicht einmal verantwortlich gefühlt. Schon als ich erst 2 Jahre alt war, bin ich es gewesen die an allem die Schuld trug“. Ich gebe zu, dass ich ganz kurz den ketzerischen Gedanken hatte, wie erleichternd es sein muss, selbst keine Verantwortung anzunehmen wie diese Mutter, die ihre Tochter offensichtlich schwer beschädigt hat, alles zu delegieren und wider besseres Wissen andere verantwortlich zu machen. Solche Dinge, die ja bereits während des Denkens als haltlos entlarvt werden, hat man wohl, wenn man hoffnungslos ist, wenn man zwar nicht wirklich wütend werden kann, dafür aber momentweise bösartig im Denken.
Ein anderer Gedanke beleuchtet das Dilemma, das schon lange meine Überlegungen bestimmt. Auf der einen Seite ist mir durchaus bewusst, wie wenig handlungsfähig ich bin, wie die Möglichkeit etwas zu ändern abnimmt, je weiter ich mich in der Suche nach falschen Entscheidungen, falschen Worten oder dem, was ich übersehen habe, verstricke, mich wieder und wieder frage, wo ich hätte handeln müssen es aber nicht getan habe, wo ich Dinge falsch verstanden und dementsprechend verkehrt reagiert habe. Also dieser Einsicht, dass derlei Fragen und Gewissensforschungen nur in Grenzen sinnvoll sind, nämlich um die Verantwortung für das tatsächliche Versagen zu übernehmen und sich bei den Beteiligten dafür zu entschuldigen und bestenfalls auch sich selbst zu verzeihen, weil man versteht, dass man sein Bestes zu geben versucht hat, auch wenn das Beste eben nicht gut genug gewesen ist. Auf der anderen Skala dieses Gedankens herrscht der Zwang, diese Gedanken immer wieder zu denken, immer neue Fehler aufzuspüren, so lange bis endlich alles wieder gut ist, bis es endlich allen gut geht. Erst dann, denke ich, könnte ich all das loslassen, dann endlich würde ich den Ausgang des Labyrinths entdecken. Dabei weiß ich, dass ich mir nicht erlaube den Ausgang zu sehen, der natürlich längst existiert.
@muetzenfalterin
Mir fehlen die Worte. Danke dir umso mehr fürs Wortefinden.
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