Trauer ist das Glück, geliebt zu haben – Chimamanda Ngozi Adichie

„Gute Nacht“, das sind die letzten Worte ihres Vaters, als Chimamanda Ngozi Adichie und er ein ganz normales Telefongespräch beenden. Am nächsten Tag lebt er nicht mehr.
Die Autorin ist selbst überrascht oder vielleicht eher überrumpelt von der Wut und der Wucht der Weigerung, diese Tatsache anzuerkennen.
Ebenso wie „Sterben im Sommer“ erzählt hier eine Tochter vom endgültigen Abschied von ihrem Vater. Anders als Bánks Vater stirbt der von Adichie plötzlich. Das macht einen Unterschied und macht auch wieder keinen Unterschied.

„Trauer ist ein grausamer Unterricht. Man lernt, wie hart Trauern sein kann, wie viel Wut darin steckt. […]
Man lernt, wie sehr es bei Trauer um Sprache geht, um das Versagen der Sprache und die Suche nach den richtigen Worten.“

Die richtigen Worte, das erkennen Trauernde und auch diejenigen, die mit Trauernden konfrontiert sind, spätestens bei den Beileidsbekundungen, die ihnen entgegen gebracht werden, sind selten. Es sind nicht die Floskeln, dieses unerträgliche „Es war besser so, sie ist an einem besseren Ort, du bist noch so jung und kommst bestimmt schnell darüber hinweg…“ Nicht all die hilflosen Versuche der anderen im besten Fall zu trösten und – vermutlich viel häufiger – sich das fremde Leid einfach vom Leib zu halten. Die richtigen Worte sind schlicht und einfach, Sätze wie: es tut mir leid. Das ist schlimm. Die Menschen, die mir in der Trauerzeit um meine Mutter am meisten geholfen haben, waren die, die einfach immer wieder da waren und das Schweigen und die Traurigkeit mit mir ausgehalten haben. Daran erinnere ich mich noch heute, mehr als drei Jahrzehnte später, mit Dankbarkeit.

Adichie schreibt einige Zeilen später: „Eine weitere Offenbarung: ein wie großer Teil der Trauer Lachen ist.“ Eine Erkenntnis, die bereits bei „endlich“ immer wieder eine Rolle spielt. Ich erinnere mich an mich als vielleicht 10jähriges Mädchen. Nach dem Tod meiner Großmutter, der vor wenigen Stunden eingetreten war, setzte man uns Kinder vor den Fernsehapparat, es lief irgendetwas, das mich zum Lachen brachte. Ich weiß noch heute genau, wie ich über mein Lachen erschrak, ich hatte meine Oma doch geliebt und war wirklich aufrichtig traurig, dass sie nun nicht mehr da war, und doch musste ich lachen. Bei Adiche und in dem Buch von Brückner und Kraft geht es natürlich eher um die Geschichten und Anekdoten, um die Erinnerungen an den Toten, die Tote, die man austauscht und dabei immer wieder vom Weinen ins Lachen gerät, aber auch darum, dass Kinder eine Art „Pfützentrauer“ erleben. In einem Moment sind sie todtraurig über den Verlust und im nächsten Moment wieder ganz im Spiel gefangen, fröhlich und scheinbar von allem unberührt. Wie schwer es uns doch fällt diese Dinge zusammen zudenken: Trauer und Lachen, vielleicht weil wir immer noch viel zu klar zu unterscheiden versuchen zwischen Leben und Tod, weil wir Grenzen ziehen, die es so nicht gibt, und die uns nicht gut tun.

Und welch große Rolle die Wut, das nicht Wahrhaben wollen spielt. Der nicht nachlassende Versuch, die Versuchung, den Tod zu verdrängen und gleichzeitig einen ungerechten Zorn auf Menschen zu empfinden, die älter sind als der Verstorbene und immer noch leben. Auch das kenne ich vom Tod meiner Mutter. In den ersten Monaten hatte ich häufig diese Gedanken: warum leben die noch, wenn meine Mutter doch tot ist? Und überhaupt, wie ungerecht und unfassbar ist es, dass die Welt sich einfach so weiterdreht? Beim Lesen dieses Buches passieren zwei Dinge gleichzeitig, ich erinnere mich, wie schmerzhaft und surreal das alles gewesen ist, bei meinen eigenen Trauerfällen und ich bin erleichtert, mein seltsames Verhalten besser einordnen zu können, weil ich endlich erkennen darf: ich bin damit absolut nicht allein.
Adiche spricht von ihrem Rückzug, von ihrem Bedürfnis allein zu sein mit ihrer Trauer. Ich war 22 Jahre alt, als meine Mutter ganz plötzlich bei einem Autounfall gestorben ist und wirklich begriffen, dass sie tot ist, habe ich erst bei der Trauerfeier, als der blumengeschmückte Sarg im Zentrum von allem stand. Es gab einen Leichenschmaus, den meine Tante (oder war es meine Cousine?) organisiert hat, an dem ich aber nicht teilnehmen wollte, ich bin nach der Trauerfeier heimlich verschwunden, ich hätte es einfach nicht ertragen all die Hände zu schütteln, die Beileidsbekundungen entgegen zu nehmen. Vielleicht war das falsch, aber es tut gut, jetzt, so lange Zeit danach, zu lesen, dass ich auch mit diesem Bedürfnis all dem aus dem Weg zu gehen, nicht allein bin. Vielleicht, denke ich jetzt, nachdem ich das Hadern Adichies mit dem von ihr als zu unverzüglich empfundenen Begräbnis und den damit verbundenen Formalitäten lese, hätte auch ich damals einfach mehr Zeit gebraucht, mich erst einmal an den Gedanken zu gewöhnen, dass meine Mutter tot war, bevor ich sie würdevoll und feierlich beerdigen konnte. Vielleicht war es nicht meine Schuld, vielleicht war es einfach nur ein unüberlegtes Ineinandergreifen der als angebracht erachteten Mechanismen, gegen die ich mich in meiner Lage nicht wehren konnte.
Adichie schreibt eine seitenlange Hommage an ihren Vater und ich denke, dass meine Eltern das auch verdient hätten. Dass ich vielleicht auch demnächst einmal eine Hommage an meine Mutter und an meinen Vater schreiben sollte. Aber im Moment lese ich sehr gerne wie liebevoll sie von ihrem Vater schreibt.
Ja, Trauer ist das Glück, geliebt zu haben.

3 thoughts on “Trauer ist das Glück, geliebt zu haben – Chimamanda Ngozi Adichie

  1. Die Idee, den Eltern, posthum, Jahrzehnte nach dem Tod, eine Hommage zu schreiben … die berührt mich.

    Oberflächliches Beileid finde ich zum Davonlaufen. Es ist kein Mit-Gefühl, kein Mit-dir-Leiden-Ausdruck, sondern ein Geh-mir-weg-mit-deiner-Trauer-Ausdruck. An solchen Sätzen können wir Spreu von Weizen trennen und sehen, wer wirklich in der Trauer bei uns sein kann, wer es aushält.

    Ach, würden wir doch Trauern lernen statt zu lernen, uns möglichst schnell wieder gut und funktionierend darzustellen.

    Danke für deine inspirierenden Gedanken zu diesem wichtigen Thema.

    1. Ich fürchte viele Menschen sind einfach überfordert, wenn es um den Umgang mit trauernden Menschen geht, da ist zum einen die Unsicherheit und zum anderen die Angst vor diesem ja immer noch weitesgehend tabuisierten Thema Tod. Gerade darum sind solche Bücher so wichtig, ist es so wertvoll, wenn Menschen von ihrer Trauer erzählen.
      Danke für Deinen Kommentar, der mich ein wenig ermutigt, das mit der Hommage an die Eltern wirklich einmal in Angriff zu nehmen.

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