Lesetagebuch “Die Winterschwimmerin” – Marion Poschmann

Dies ist keine Besprechung, nichts, was dem Buch von Marion Poschmann auch nur annähernd gerecht wird. Vielmehr eine Aufzeichnung eines atemlosen Lesens. Ich war gestern vor der Arbeit noch schnell in die Bücherei. Eigentlich nur, um ein ausgelesenes Buch zurückzubringen. Und dann fand ich auf einem Haufen: Marion Poschmann – Die Winterschwimmerin, Nadja Küchenmeister: Der Große Wagen und Kathrin Bach – Lebensversicherung. Beglückt und beschenkt fange ich sofort an zu lesen.

Ich, die nicht einmal lauwarm duscht, die Wasser am liebsten betrachtet, als sich ihm wirklich auszusetzen, taucht also ein in die Welt der Winterschwimmerin. „Thekla hat es von Paula“.

Herbstlicher Habitus: Wasser und Feuer vertauschen die Plätze.“

Fasziniert lese ich von Bräuchen des Winterschwimmens in Japan und auf Coney Island, erfahre dass Goethe und Puschkin und viele mehr zu den Winterschwimmern gehörten. Es ist so dicht und bildreich, dass ich alles vor mir sehe, dass ich aus sicherer Entfernung und in ausreichender Wärme beobachten kann, wie es sein muss, im Winter zu schwimmen, sich im eiskalten Wasser fort zu bewegen:

Wenn ich den Ast auf dem Wasser berühre,

zerfällt er sofort in unendliche Wälder,

löst sich auf in Wellen, in Licht.“

Und während ich lese und weiterlese, verstehe ich, warum der Band mit dem Begriff „Verslegende“ untertitelt ist, denn was ich hier lese ist eine in virtuose Verse gegossene Geschichte von Überwindung und der Entdeckung davon, was geschieht, wenn es gelingt sich selbst zu überwinden.

Poschmann erzählt von „Tummo, die Technik der mystischen Hitze.“ Wie schön sie diese Übung der Yogis in Verse fasst:

Das innere Feuer entfachen. Den heiligen Zorn.

Gedanken, die anderen schaden können, verbrennen,

Gefühle, die Unrast erzeugen, verglühen lassen,

Hitze erzeugen von innen nach außen,

ein einfacher Weg von der Vorstellung zur

erhöhten Temperatur des eigenen Körpers,

sich eine Flamme einbilden,

deren Hitze sich steigert,

bis sich das Fiebern

tatsächlich messen lässt.

Die Vision eines Feuerballs,

der sich ausweitet,

die ganze Welt ergreift,

alles verwandelt.

Unfassbar hier jener Punkt, an dem

die Idee in Materie umschlägt.

Lodernde Konzentration

von Hitze, Licht, Ich.“

Diese Zeilen würden genügen, mir tagelang Gedanken zu machen, bei denen ich mir unweigerlich auf die Spur kommen müsste. Mich und die Kälte verlassen, um dieses innere Feuer zu finden, den heiligen Zorn, der auch in mir steckt, irgendwo, ziemlich verborgen, aber doch vorhanden.

So, durch Überwindung, durch das Suchen der inneren Hitze, versucht also Thekla ihre Grenzen zu überwinden, das was sie einschränkt, das was sie ausmacht, und dann kommt der Tiger ins Spiel, Rilkes Tiger, der aufbricht in die für ihn eben doch vorhandene Welt hinter den tausend Gittern des Käfigs, des Geheges, Gitter die in diesem Versepos nachgeben und ihn in die Freiheit entlassen.

Und dann stellt Poschmann sich der Versform der Leich, des Erzählgedichts, um durch die Überwindung der Beschränkung, die die Form vorgibt, zu neuer Freiheit zu gelangen. Und ich weiß wirklich nicht, ob ich derartiges jemals zuvor gelesen habe, ein atemloser Rhythmus, Spannung und das alles in streng gebundener Form, die mich vor sich hertreibt, von einer sprachlichen Schönheit in die nächste. Mythos verschmilzt mit Märchen, Gegenwart mit Zeitlosigkeit.

Sie bewegte sich durch die versehentlich

abgelegten Gebiete der Wahrnehmung,

ihrerseits ebenfalls weitesgehend unsichtbar

aber […]“

Eine wirklich aufsehenerregende Art von Naturdichtung. Oder auch Nachdichtung. Denn als Quelle gibt Marion Poschmann die apokryphe Schrift „Die Akten des Paulus und der Thekla aus dem 2. Jahrhundert an. Eine Vorlage, die auch Goethe inspiriert hat zu einer Geschichte, in der die Einheit von Geist und Natur wiederhergestellt wird. Ein Thema, das sich auch durch Poschmanns Verslegende „Die Winterschwimmerin“ zieht.

2 Gedanken zu „Lesetagebuch “Die Winterschwimmerin” – Marion Poschmann

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