Es ist immer noch viel zu kalt als ich die gesammelten Buchsendungen der letzten Tage, die allesamt heute morgen angekommen sind, aus dem Postkasten fische. Die großen Umschläge stecke ich in den Rucksack, den kleinsten behalte ich in der Hand. In der Bahn beginne ich Björn Kuhligks „Grenze“ zu lesen. Ich mag diese kleinen Hefte aus der Reihe Poeticon. Die Vorbesitzerin, die Frau, von der ich das Buch gekauft habe, war scheinbar enttäuscht von der Lektüre, auf dem Deckblatt ist ein trauriger Smilie und eine ausradierte Notiz. Auch da verläuft offenbar eine Grenze. Mir gefällt das Buch, ich mag die Gedanken, die Vielfalt an Beispielen, was Grenzen sind, wo Grenzen verlaufen, wo sie nützlich sind und wo erschreckend, wo natürlich und wo willkürlich. Wie man sie überwinden kann und wie man an ihnen scheitert.
Von den Grenzen der Lyrik schreibt Kuhligk: „Wer Gedichte schreibt, stellt sich mit dieser Tätigkeit in einen eng begrenzten Raum, natürlich mit der Hoffnung, mit dem Geschriebenen jenseits dieser Grenze auf Aufmerksamkeit und Applaus zu stoßen. Doch selten kann Lyrik diese Grenze überwinden.“
Er erzählt davon, wie er seine eigene Schamgrenze besichtigt hat, bei seiner Reise nach Melilla anlässlich seines Langgedichtes über flüchtende Menschen und darüber, wie er beim Schreiben durch ständige Reduktion, ständiges Streichen sich immer weiter dem Kern des eigentlich Gemeinten annähert.
Die Grenze zwischen Selbstbetrug und Selbstverrat, denke ich. Das ist die Grenze, die ich jeden Tag wieder ziehe, ziehen muss. Glaube ziehen zu müssen.
Danke für diese Inspiration.
Da hab ich mal wieder viel Denkfutter.