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Ich lese Mely Kiyaks neue Kolumne in der Schweizer Zeitschrift „Republik“: Briefe an Bettina, ich lese mich davon ausgehend durch ihre Serie, die Testamente übertitelt ist. Ich kann nicht aufhören zu lesen, ich kann nicht aufhören zu denken: wie kann man nur so großartig schreiben? Ich kann nicht aufhören zu denken, jemand wie Mely müsste unsterblich und unverwundbar sein, weil wir, weil zumindest ich, sie so sehr brauchen. Ich weiß natürlich gleichzeitig, dass es gerade diese Verwundbarkeit und Sterblichkeit ist, die sie schreiben lassen, wie sie schreibt.

Ich lese z.B. wie sie schreibt:Du mochtest es immer, wenn ich schrieb, dass man der Ästhetik des Ekeligseins eine Ästhetik des Menschseins entgegensetzen müsse. Es darf aber nicht bei der Forderung bleiben, man muss sich mit hineinwerfen und es auch machen, gestalten, anbieten“ und fühle mich ertappt. Ja, genau, denke ich, das ist es, man darf nicht bei der Forderung stehen bleiben. Ich tue das häufig, ich denke häufig: sollte, müsste, und tue dann nichts. Gestalte nicht, biete nicht an. Es ist gut, daran erinnert zu werden. Es ist gut, sich ertappt zu fühlen.

Es tut gut zu lesen, wie Menschen sich vor einem Publikum ihre vermeintlichen Schwächen eingestehen, wie sie von Zweifeln, Selbstzweifeln reden, von Verunsicherung, von Krisen, eben davon, dass auch sie, die scheinbar (oder auch wirklich) Erfolg haben, mit Ängsten konfrontiert sind, mit Überforderung, dass auch sie mehr Fragen als Antworten haben. Oder vielleicht kann ich es so zusammenfassen: dass auch sie Teil eines Ganzen sind, dass wir alle nur überleben, nur kreativ sein können, wenn wir uns immer wieder bewusst machen, dass wir zusammengehören, dass wir ein Teil eines Ganzen sind, dass es um Verbindung geht. Dass es immer um Verbindungen geht. Darum als einsamer Einzelner, als einsame Einzelne immer wieder zu begreifen, dass wir verbunden sind, dass wir nichts sind ohne die anderen, aber wichtig als winziges Atom innerhalb der Verbindung, die alles ist.

Verbunden also auch mit dieser schrecklichen Vergangenheit, in der Menschen wie Dietrich Bonhoeffer in einer aussichtslosen Lage Zeilen verfassen konnten, die noch heute trösten, verbunden mit den zeitlos traurig-schönen Versen von Mascha Kaléko, und dem Leid, das den Menschen in syrischen Foltergefängnissen zugefügt worden ist. Ich habe vor einigen Tagen ein Feature über Saydnaya gehört. Ich musste abbrechen, weil ich es einfach nicht mehr aushalten konnte. Die Menschen, die dort gefoltert wurden, sterben mussten, hatten diese Möglichkeit nicht.

5 thoughts on “(02)

  1. Liebe Elke, deine Entdeckung und das Schreiben dazu über die Texte von Mely Kiyak haben mich sehr angeregt. Was für eine Sprache, die mir so liegt zu lesen! Danke!

  2. Liebe Elke, über die Verbundenheit schrieb ich ja schon oft, erst vor kurzem ging es wieder einmal um Schnittpunkte/Knotenpunkte, dort, wo mensch sich begegnen kann. Die Trennungslinien sind schnell aufgespürt und aus meiner Sicht werden sie viel zu sehr in den Fokus gestellt.

    Mittlerweile bin ich fast am Ende des Buchs von Ulrike Draesner angekommen: zu lieben … (ich folgte deinem Lesetipp), auch hier fand ich eine grandiose Sprache und Fragen zur Mutterschaft, die mich einst auch umtireben, selbst jetzt noch manchmal. Überhaupt finde ich hier viel Nachdenkenswertes.

    Herzliche und verbundene Grüße, Ulli

    1. Über Verbundenheit kann gar nicht genug geschrieben werden, gerade in diesen Zeiten, in denen wir aktuell leben. Ich freue mich, dass dir das Buch von Ulrike Draesner auch ein guter Gesprächspartner gewesen ist.

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