Kae Tempest – Verbundensein

Einiges in dem wirklich sehr lesenswerten Essay „Verbundensein“ von Kae Tempest klingt so, dass ich es bei anderen leicht in die Kitschecke verfrachten würde. „Bei Tempest wirken sie auf faszinierende Weise ehrlich und pathetisch im besten Sinn – warum?“, fragt sich Anja Nora Schulthess in Republik, und ich habe nach dem Lesen eine Ahnung von einer möglichen Antwort.

Aber vielleicht fangen wir beim Aufbau des Bandes an. Tempest gliedert ihr Essay nämlich wie einen Bühnenauftritt, da wird zunächst aufgebaut, dann muss ein Soundcheck gemacht werden, bevor dem Publikum (das eine für manche vielleicht überraschend große Rolle spielt) Einlass gewährt wird, während der Support-Act läuft, bereitet sich die Künstlerin vor, geht raus und spürt wie´s passiert.

Das was passiert (oder eben nicht) ist das titelgebende „Verbundensein“. Und Verbundensein ist wiederum untrennbar mit Kreativität verknüpft. Kreativität wie Tempest sie versteht ist „[…] die Fähigkeit zu staunen und der Wunsch, auf das zu reagieren, was uns verblüfft. Oder einfacher gesagt, jede von Liebe getragene Handlung ist kreativ.“

Und das ist schon ein Satz, der leicht kitschig klingt, wenn ich ihn so aus dem Zusammenhang reiße, den ich Tempest aber nicht nur abnehme, sondern ihr glaube, dass sie haargenau meint, was sie schreibt. Aber gleichzeitig deckt sie mit dem, was sie schreibt, Seiten meines Selbst auf, die ich eigentlich lieber verstecke, übergehe und verschweige, statt mich damit auseinander zu setzen. Meine Arroganz dem Publikum gegenüber z.B., wenn ich es nicht schaffe, die Leute zu erreichen (und das ist mir häufiger passiert, als ich zugeben möchte), dann denke ich gerne und häufig und fast schon reflexhaft: das waren Perlen vor die Säue, das waren „nicht meine Leute“, wie Tempest sagen würde. Und noch vor dem Soundcheck bringt mich Tempest dazu, zu begreifen, dass ich den Leuten gar keine Chance gegeben habe, dass ich es war, die nicht einmal versucht hat, sich auf sie einzulassen, um vielleicht doch, ganz überraschend, Verbundenheit zu schaffen.

Verbundenheit und Abstumpfung gehören für Kae Tempest zusammen. Und zwar nicht als Gegensätze, sondern vielmehr als Pole zwischen denen es eine Balance zu finden gilt. Was wiederum durch Kreativität, durch Kunst gelingt.

Jedes Mal, wenn ich fremde Räume mit Gedichten betreten habe, musste ich mich meiner eigenen Verunsicherung und meinen eigenen Vorurteilen gegenüber denjenigen stellen, zu denen ich sprach, mir überlegen, warum ich es tat, und jedes Mal habe ich etwas gelernt über das, was uns verbindet. Auch dass es mächtiger ist als das, was uns trennt.“

Diese Haltung, das begreife ich während des Lesens, ist mindestens ebenso wichtig, vermutlich sogar wichtiger, als die Texte selbst.

Wodurch Tempest über so viele Grenzen hinaus berührt ist im Grunde sehr simpel: Sie spricht grundlegende Wahrheiten mit einfachen Worten aus.

6 thoughts on “Kae Tempest – Verbundensein

  1. Ich habe heute auch wieder über Liebe nachgedacht und finde den Gedanken (oder den zitierten Satz, der diesen Gedanken transportiert) sehr wichtig. Das heißt: überhaupt nicht kitschig.

    1. Ich glaube das ist einer der Gründe, warum Tempest so besonders ist, sie hat keine Angst Dinge, die wahr sind zu sagen und zu schreiben, nur weil sie vielleicht kitschig klingen könnten.

    1. ja, ich weiß, es ist alles komplizierter hier. ich habe das noch nicht herausgefunden, welche möglichkeiten es gibt, außer dem einfügen der blogadresse in den reader des vertrauens, wie auf meinem verlassenen blog beschrieben. tut mir leid. aber ich bin alles andere als technisch begabt.

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