(20)

Manchmal wache ich auf und sehe mich als sehr alte Frau im Spiegel und dann bewege ich mich wie eine alte Frau, ich handle wie eine alte Frau, ich denke ständig daran, dass ich aussehe wie eine alte Frau. Und ich bin auch eine alte Frau aber noch längst nicht so alt, wie ich glaube, dass die anderen mich sehen. Und überhaupt sollte es ja egal sein, wie die anderen mich sehen. Und es ist vielleicht auch egal. Aber weil ich so überzeugt bin, dass alle nur eine sehr alte Frau in mir sehen, fühle ich mich wie eine alte Frau und es ist wie ein Kreislauf, die Gedanken und die Überzeugungen verstärken einander. Meine Ansicht, dass alle mich so sehen und die Tatsache, wie ich selbst mich sehe. Weil wie sollten sie mich nicht als alte Frau sehen, wenn ich doch so überzeugt davon bin es zu sein, wenn ich so überzeugt bin, dass sie nur das sehen können.

Ich hatte das alles schon vorher aufgeschrieben, nur viel besser, aber das Geschriebene ist weg. Ich hatte es gespeichert, weil ich immer alles speichere, aber es ist trotzdem weg. Und ich denke mir nicht, dass mein Glauben eine alte Frau zu sein, ein Wesen zu sein, in dem andere nichts weiter, nichts anderes als eine alte Frau sehen können, auch einfach verschwinden könnte. Ich speichere es in meinem Körper, ich brauche dafür keine Festplatte und nicht einmal eine Erinnerung, es ist jetzt schon so lange ein Teil von mir, dass ich es nicht verliere. Dass ich es nicht loswerden kann. Und das wäre gar nicht schlimm. Schlimm ist nicht das Alter, schlimm ist, dass ich überzeugt davon bin, dass alte Menschen einfach weniger wert sind, ihre Handlungen sind schwächer, was sie sagen ist bedeutungsloser, sie sind einfach minderwertig. Das ist was ich denke. Darum leide ich daran, wie eine alte Frau betrachtet zu werden. Mich selbst wie eine alte Frau zu betrachten.

Ich habe schon mit Mitte zwanzig angefangen mich alt zu fühlen, mich vor dem Alter zu fürchten. Was ist eigentlich so fürchterlich am Alter? Wovor fürchte ich mich? Ich weiß es nicht. Das waren auch nicht die Fragen, die ich mir gestellt habe. Ich habe mich vielmehr gefragt, was Alter ist. Ob es eine soziale Konstruktion ist. Ob es wie Sterben und Tod kulturellen und historischen Wandlungen unterliegt und eben von uns, von der jeweiligen Gesellschaft konstruiert wird. Und dann wusste ich eigentlich schon die Antwort und habe trotzdem weiter gesucht, was kluge Menschen über das Alter zu sagen hatten und es gab viele kluge Menschen, die kluge Dinge über das Alter zu sagen hatten, aber es hat mir nichts genützt. Ich habe nicht etwa irgendetwas über mich verstanden, ich habe auch nichts über das Wesen des Phänomens Alter verstanden.

Gestern habe ich eine kluge Rede gelesen über die besondere Art von Altersdiskriminierung von Frauen. Darin stand, dass Frauen viel häufiger und selbstverständlicher wegen ihres Alters diskriminiert werden, ihnen wird vermittelt, dass sie nicht alt aussehen dürfen, dass Frauen ihren „Wert“ sehr früh verlieren, viel früher als Männer. Das sind keine neuen Erkenntnisse, aber manchmal tut es gut an bereits Gewusstes erinnert zu werden. Ermächtigend war das Fazit der Rede. Wir altern, das ist ein biologischer Prozess den wir annehmen müssen. Anders verhält es sich aber mit der gesellschaftlichen Zuschreibung ab wann jemand alt ist, und mit den Stereotypen, die einer „alten“ Person zugeschrieben werden. Das sind Schuhe, schreibt die Rednerin, die wir nicht anziehen sollten. Und kurz erinnere ich mich wieder an die wunderbare junge Frau, die von ihrer Mutter sagte: Meine Mutter ist 60 Jahre alt, aber sie trägt Overknees und so. Meine Mutter ist eine total schöne Frau.“

2 Gedanken zu „(20)

  1. Altern mit Tätowierungen, die das Innen nach außen sichtbar machen, mit braun gegerbter Haut, Nasenpiercing, und Overknees. Die Overknees gibt es nicht in orthopädisch. Eine Marktlücke. Im Alter möchte ich Rastazöpfe tragen, wie die alte Frau, die ich in Hamburg einmal sah. vielleicht war sie 70, vielleicht achtzig. sie trug an einem Sommertag himmelblaue Dreadlocks und aß Eis. sie schien sich allen Konventionen entzogen zu haben. Ich speichere das auf meiner Festplatte.

    vielen Dank für deinen Text. Macht nachdenklich und berührt.

  2. Vor Jahren sagte meine Cousine, damals 61, sie sei eine alte Frau. Und ich dachte: Du bist doch noch nicht alt. Aber jetzt, wo ich selbst auf die 60 zugehe, finde ich, sie hatte Recht. 60 ist noch nicht sehr alt, aber es ist doch alt. Ich sehe das an den Blicken oder an den Nicht-Blicken der Jüngeren. Meine Haltung ist gerade, meinem Körper sieht man das Tanztraining vergangener Jahre noch an, er ist beweglich und stark, aber eben kein junger Körper mehr. (Vom Geist will ich jetzt gar nicht reden.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert