(6)

Wenn ich schreiben könnte, würde ich schreiben, wie es ist, wenn unter jeder Freude, unter jedem schönen Moment die Traurigkeit mitschwingt. Ich würde schreiben, wie es ist, wenn man sein Leben beobachtet, statt es zu leben. Ich würde schreiben, wie das Leben den Blick auf einmal auf Aspekte lenken kann, von denen man wusste, in die man aber niemals so tief einsteigen wollte.

Statt dessen schreibe ich, dass die Haushälfte in der wir jetzt seit gut einer Woche wohnen, vorher gemeinsam mit der Hälfte in der unsere neuen Nachbarn wohnen, von einer Familie bewohnt wurde, und nachdem die Eltern gestorben sind, sind auch die Kinder ausgezogen und die BGW hat das Haus wieder in zwei Haushälften geteilt und renoviert und jetzt also an uns und das Paar neben uns vermietet. Manchmal denke ich, dass es vielleicht ein gutes Zeichen ist, dass die Vormieter gestorben sind, dass das vielleicht bedeutet, dass auch wir, dass auch ich, nicht noch einmal umziehen muss, bevor auch ich sterbe. Denn ich fühle mich hier zu Hause, habe mich eigentlich schon bei der Besichtigung zu Hause gefühlt. Das liegt am Magnolienbaum, aber ganz bestimmt auch daran, dass es eine alte Arbeitersiedlung ist, in der unsere Haushälfte steht. Ich bin in einer Arbeitersiedlung groß geworden und jetzt schließt sich vielleicht ein Kreis.

Es ist erst das zweite Wochenende hier und die alte Wohnung fordert auch noch einiges an Zeit und Arbeit, bevor wir am 01. März die Schlüssel übergeben und das Kapitel dann endgültig abgeschlossen ist.

Andere Kapitel werden gerade erst aufgeschlagen und in wieder anderen ist das Ende nicht abzusehen. Mich beschäftigt die Frage, wie ich von Dingen schreiben kann, die gleichzeitig privat und öffentlich sind, über die zu sprechen gleichzeitig wichtig und irgendwie tabuisiert ist.

Denn ich begreife: ohne Arbeit, ohne Projekt, ohne etwas, was ich mit Leidenschaft verfolgen und betreiben kann, bin ich nicht zufrieden, andererseits verhindert meine massive Erschöpfung, dass ich etwas Kreatives anfange.

In Wirklichkeit bin ich jetzt an dem Punkt, an dem ich aufgehört habe zu glauben, dass irgendjemand mein Schreiben braucht, aber gleichzeitig erkenne, dass die Dinge mit denen ich gerade konfrontiert bin, mehr Öffentlichkeit brauchen. 

Dann ist die Wahl vorbei und die mantramäßige Wiederholung in den sozialen Medien, dass 80 % der Wähler:innen eben nicht AfD gewählt haben, macht die Tatsache, dass doppelt so viele Menschen wie vor 3 ½ Jahren eben genau das getan haben, nicht weniger beunruhigend. Aber immerhin macht die sehr hohe Wahlbeteiligung Mut.

4 Gedanken zu „(6)

  1. liebe mützenfalterin, ich denke, es gibt einige da draußen, die dein schreiben brauchen. 🙂
    dieses hier: .“… wenn man sein Leben beobachtet, statt es zu leben.“ kommt mir bekannt vor, vor allem, wenn ich unter (vielen) menschen bin, beobachte ich dieses phänomen bei mir.
    schreiben ist manchmal (immer?) eine gratwanderung, ginge ich ans „eingemachte“, würde es vermutlich sehr privat; hier habe ich noch eine große hemmschwelle. dennoch möchte ich dahin gelangen, ohne (zu) privat zu werden. ob es je gelingen wird?
    ich lese dich immer gern, du schreibst ehrlich, und oft finde ich bei dir feine denkanstöße. also, bitte gern weiter, aber ich vermute, du könntest auch gar nicht ohne?
    ich wünsche ein gutes einleben, was ja aber schon gut klingt, mit ganz herzlichen grüßen, auch an den magnolienbaum 🙂 diana

  2. @muetzenfalterin Dein Schreiben wird gebraucht! Ich kann es nachempfinden, wie schwer es ist, zu sortieren, was öffentlich sein darf, kann oder soll und was nicht. Ich bin bei vielen Blogartikeln hin und her gerissen, ob ich sie auf öffentlich oder auf privat stelle oder gänzlich im Entwurfsmodus lasse.Bitte wohnt gut und schön und zufrieden.

  3. Mir hat dein Schreiben an manchen Abend den Tag doch noch gerettet. immer dann, wenn ich völlig müde von einer Schicht komme, wenn die Wohnung die mir normalerweise Schutz bietet, plötzlich ein leerer Ort ist, ich die Schicht nicht abstreifen kann, das Universum was mich einsog und abends wieder ausspucktw.
    Ich liebe deine Art des Schreibens. Mir würde so viel fehlen. schon jetzt habe ich mich an den Magnolienbaum gewöhnt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert