Kate Zambreno stellt dem Umgang mit der Erinnerung, den Bourgois zu ihrer Kunst veranlasst hat, ein anderes Beispiel gegenüber. Roland Barthes, der um seine Mutter trauert, der sie in allen alten Fotografien sucht, der etwas über sie schreiben möchte, damit sie erinnert wird. Einmal dieses Loswerdenwollen der Vergangenheit und einmal das Festhalten der Vergangenheit. Dazwischen bewegt sich Zambreno, dazwischen bewege auch ich mich. Zwischen diesen beiden Polen (Bourgeois und Barthes) liegt die Erkenntnis, dass wir immer nur Bruchstücke des anderen erkennen. Die Frage ist, wie wir sie zusammensetzen, was wir mit den leeren Stellen tun, wie beweglich wir das Bild halten, das wir uns einmal gemacht haben. Weil es sehr schmerzhaft sein kann, an einem Bild, das sich längst geändert hat, festzuhalten. Denn tatsächlich steht nicht einmal die Vergangenheit fest, auch sie ist formbar, beweglich, veränderlich. Ich weiß, dass es nur Geschichten sind, die ich mir und anderen von meiner Mutter erzählen kann, Geschichten, die sie unter Umständen ganz anders erzählen würde. Geschichten, die sie mit 30 Jahren so erzählt hat und zwanzig Jahre später etwas anders.
„Die alten Griechen“, schreibt Zambreno, „dachten sich die Erinnerung als großes Haus. Wer einen bestimmten Gedanken oder Gegenstand aufrufen wollte, musste sich gemäß dieser Methode vorstellen, jenen Raum zu betreten, in dem dieser sich befand.“
Wie betritt man diesen Raum, wenn mehrere Jahrzehnte, der Tod, oder radikal andere Lebensumstände die Tür zu ihm zu versperren scheinen? Es ist als wäre ich in diesem Haus, aber ich verlaufe mich ständig. Immer stehe ich vor einer falschen Tür. Nie habe ich wirklich den Mut, an der Tür zu rütteln, mir Einlass zu verschaffen, obwohl sie nicht sofort nachgibt.
„Die Erinnerungen in ein Buch legen“, schreibt Kate Zambreno, „um so davon befreit zu werden. […] Schreiben nicht als Erinnern, sondern als Vergessen. Oder wenn nicht als Vergessen, dann als Versuch, etwas hinter sich zu lassen.“
„All die Gaben, den Toten dargebracht,
damit sie in ihren Gräbern bleiben.“
Die Toten, die Gräber, das sind auch die Erinnerungen, wir versuchen sie zufrieden zu stellen, ihnen einen Platz einzuräumen, vielleicht einen Altar zu errichten. Wir tun es, damit sie uns nicht heimsuchen. Wir versuchen einen Umgang zu finden. Einen Umgang mit der Vergangenheit, der eine Gegenwart erlaubt.