Ich lese also weiter in Knausgards zweiten Band, den Wölfen im Ewigkeitswald. Und inzwischen habe ich Syvert und die sehr kleinteilig erzählte Welt von 1986 verlassen und bin ungefähr in der Gegenwart in Russland. Es stimmt, dass ein Reiz, ein Faktor, der vielleicht diesen Sog erzeugt, den ich intellektuell nicht nachvollziehen kann, oder es vielleicht eher nicht will, darin liegt, dass Knausgard scheinbar keine Rangordnung gelten lässt, das Binden der Schnürsenkel ist ebenso relevant, wie Gedanken über die Evolution.
Langsam glaube ich zu begreifen, wie Knausgard sein Thema entwickelt, wie er jeder Denkposition, jeder philosophischen oder wissenschaftlichen Haltung eine Person an die Seite stellt, die sie (die Position) sozusagen verkörpert. Wie er auf diese Weise Möglichkeiten durchspielt. Dabei macht er es ähnlich wie in Der Morgenstern. Es beginnt mit Menschen, deren Alltag er uns minutiös beschreibt, bevor er Figuren einführt, die sich für wissenschaftliche Positionen (hier, bei den Wölfen, beim Morgenstern waren es eher philosophische und/oder religiöse Fragestellungen) interessieren, sie entwickeln und verkörpern. Und das alles vor der großen alles tragenden Frage: warum es den Tod geben muss, wie es wäre, wenn nicht nur niemand mehr stirbt, sondern vielmehr alle jemals Gestorbenen wieder lebendig werden. Und hier bei den Wölfen mit dem einige Male auftauchenden Zitat von Marina Zwetajewa, dem sich auch der Titel des Buches verdankt: „Wie man den Wolf auch füttert, er schaut immer zum Wald. Wir alle sind Wölfe des Urwalds Ewigkeit.“
Das klingt sehr faszinierend … also wie du seine Art zu schreiben entschlüsselst. Spannend.
Zum Gedanken der Unsterblichkeit ploppt bei mir immer sofort meine Abwehrreaktion auf. Für mich ist der Tod unabdingbarer, absolut relevanter Teil der Existenz. Ohne ihn wäre das Leben nichts wert. Erst durch den Tod bekommt das Leben doch seine Bedeutung. Er ist Erlösung. (Und ja, er ist auch Fluch und er kommt immer zur Unzeit und all das …) Das Wissen um ihn macht doch das Leben erst lebenswert.
Es ist auch bei Knausgard nichts erstrebenswertes, so wie ich es bis jetzt verstehe, stellt die Offenbarung des Johannes in den Mittelpunkt, nimmt das als Ausgangspunkt, und dort ist die Rede davon, dass die Menschen sich sehnlichst wünschen sterben zu können. Der Morgenstern enthält dieses vorangestellte Motto: „Und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht finden, sie werden begehren zu sterben und der Tod wird vor ihnen fliehen.“
Das Zwetajewa-Zitat ist wunderbar, das werde ich mir merken. Danke dafür.
Für mich immer so erhellend, wenn das Formale sichtbar wird, das entcodieren. die formale Schablone. Danke!
Das Zwetaja Zitat mag ich sehr.
Kann im Moment bei dir leider nicht liken. Hole ich aber nach 🙂