Es gibt Bücher, die begeistern mich aufgrund ihrer Form, ihres Erfindungsreichtums, ihrer wunderschönen Sprache, oder ihrer Weisheit.
Und dann gibt es Bücher, wie das von Vigdis Hjorth „Die Wahrheiten meiner Mutter“, die mich nicht nur berühren, beunruhigen und bewegen, sondern mich verändern. Weil sie mir Perspektiven zeigen, die ich zuvor nicht sehen konnte, weil sie alles in Frage stellen, was ich für sicher gehalten habe.
Verrückterweise habe ich nämlich, obwohl ich schon recht lange Mutter bin und das von mehr als einem Kind, immer gedacht, es gäbe eine Möglichkeit, es richtig zu machen. Ich glaubte unbeirrbar, dass es möglich sei, die eigenen Erfahrungen so zu nutzen, dass man es besser macht. Es gäbe Mütter, die einfach alles richtig machen und die anderen, die versagen. Und ich müsste mich nur genug anstrengen, dann könnte auch ich eine gute Mutter werden. Eine, die alles richtig macht und simsalabim sind alle glücklich, die Kinder und weil die Kinder glücklich sind, ist es die Mutter auch.
Einer Freundin habe ich erst kürzlich erzählt, dass ich geglaubt habe, meine Liebe zu meinen Kindern würde genügen. Dass ich das nicht mehr glaube, sagte ich auch.
Viel früher, als man mich gefragt hatte, welche Frage, oder welche Überzeugung mich beim Schreiben umtreibe, habe ich geantwortet: „Die Unmöglichkeit einander zu verstehen“. So verrückt es sich anhört, ich habe dabei nicht an meine Kinder, nicht an meine Rolle als Mutter gedacht, nicht damals, vor sehr sehr vielen Jahren, als ich die Antwort gab, und auch später nicht. Nachdem alles mögliche geschehen war, was mich begreifen ließ, dass nichts einfach ist, dass es keine allgemeingültige Wahrheit gibt und nicht einmal die Möglichkeit, diese Tatsache in ihrer ganzen Bandbreite zu verstehen. Selbst da hatte ich mich nicht an diesen Satz erinnert, an diese Überzeugung, die ich offensichtlich gründlich vor meiner Beziehung mit meinen Kindern abgesondert hatte. Die mir jetzt auf nahezu jeder Seite bei der Lektüre von „Die Wahrheiten meiner Mutter“ entgegenschlägt.
Hätte ich auch nur ansatzweise begriffen, wie viel Macht eine Mutter hat, ich wäre niemals schwanger geworden.
„Wenn man wüsste, wenn man in jungen Jahren verstünde, wie entscheidend die Kindheit ist, würde man niemals wagen, selbst Kinder zu bekommen.“
Hjorth erzählt konsequent aus der Perspektive der verlorenen Tochter, die, als sie heimkehrt vor fest verriegelten Türen steht, die so lange gegen diese Türen rennt, bis sie tief verwundet akzeptieren muss, dass es keine Versöhnung, nicht einmal eine Aussprache mit der Mutter geben wird. Dabei erinnert sich die erzählende Tochter an die seelische Not der Mutter, sieht diese Not als Schlüssel für all die Verwundungen, die zwischen Tochter und Mutter stattgefunden haben, aber es scheint zu spät zu sein. Die Mutter ist zu keiner Auseinandersetzung bereit, sie hat sich in sich selbst verschlossen, die Erinnerung und den Kummer begraben, ist hart geworden und unversöhnlich.
„Das erste Lied, das ich jemals hörte, war Mutters Weinen an meiner Wiege.“
Was für ein Satz! Und er steht stellvertretend für die Fabel des Romans. Einer Geschichte, die mich erschüttert hat.
Deshalb habe ich nie Kinder bekommen.
Ich bin froh, dass es dieses Buch weitab von heiler Familienwelt gibt. Ich konnte mich so sehr mit dieser Tochter identifizieren.
Das tut mir sehr leid, Marina. Ich schau gleich mal, was du zu dem Buch geschrieben hast.
Danke für diese anrührende Beschreibung deiner Gefühle beim Lesen von Vigdis Hjorth! Mir geht es mit meinen Muttergefühlen ähnlich wie dir: Ich hätte auch nicht gedacht, dass man so vieles einfach gar nicht richtig machen kann, weil man selbst eine so große seelische Last aus seiner eigenen Kindheit mit sich schleppt. Das geht nicht weg, und die Kinder spüren das, ohne dass man es mit einem einzigen Satz thematisiert haben muss. Wahrscheinlich würde vieles leichter, wenn man es voll und ganz annehmen könnte, aber gerade das ist so, so schwer …
Ich finde jeden deiner Blogtexte tief berührend und in einer wunderbaren Sprache formuliert. Meine Kinder gehen auch gerade aus dem Haus. Es hat etwas sehr Tröstliches, in deinen Beschreibungen meine eigenen Gefühle wiederzufinden,
Ganz herzlichen Dank für diese Zeilen, das tut gerade sehr gut.
vielleicht aber auch sollte man das alles nicht so schwer nehmen, nicht so gewichtig. liebe zum kind reicht erstmal doch aus, so meine sicht, liebe und intuition. aber darauf muss man sich als mutter natürlich einlassen (können), vielleicht ist das die eigentliche schwierigkeit. klingt nach einem interessanten buch.
alles gute für dich im neuen jahr!
Ich weiß, dass es diese happy few gibt. Aber ich gehöre nicht dazu. Und obwohl ich sicher bin, dass du es gut meinst, solche Sätze sind ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die nicht zu den happy few gehören.
oh je, so war das wirklich nicht gemeint, verzeih bitte. ich schleppe selbst einiges mit mir herum, was meine mutter angeht. und trotzdem… mit meiner tochter habe ich vielleicht auch viel glück. und kann hier vermutlich gar nicht mitreden… einen lieben gruß!
Vielleicht waren meine Worte auch zu hart. Das tut mir leid. Bin gerade etwas waidwund bei der Thematik.
Mich bewegt dieser Beitrag sehr. Die Unmöglichkeit es richtig zu machen. Das Verschliessen von Türen. Due Unfähigkeit ins Sprechen zu kommen um zu verstehen.