Es gibt noch eine andere Welt – Poetische Quellen 2023 in Bad Oeynhausen I

Poesie ist die Welt, die Menschheit“

Es gibt noch eine andere Welt. In der passiert folgendes: Auf dem Weg vom Bahnhof zur Auferstehungskirche begegnet mir Michael Krüger, der mich grüßte, als könnte er sich an seine freundliche Absage erinnern, als ich irgendwann, vor vielen vielen Jahren einmal Gedichte an die Akzente geschickt hatte.

Auf mich warten Abraham Gragera, Juan Andrés García Román, und Hildegard Keller, der es zu verdanken ist, dass auch deutschsprachige Leser:innen Alfonsina Storni entdecken dürfen. Keller wird zusätzlich zu ihrem Auftritt als Übersetzerin und Herausgeberin an diesem Abend die Gespräche zwischen Keimer und den spanischsprachigen Dichtern übersetzen.

Da Abraham Gragera in der spanischen Extremadura geboren wurde, beginnt Jürgen Keimer das Gespräch mit Luis Buñuel Film “Las Hurdes”. 1932 gedreht, zeigt der Film auf drastische Weise, wie die Menschen in dieser Region um ihr Überleben kämpfen. Inzwischen hat der Film die ursprüngliche Zensur überwunden und der Region geht es mittlerweile gut, u.a. aufgrund der jahrzehntelangen Vernachlässigung, profitiert sie heute von einem großen ökologischen Reichtum.

Die Frage ob man denn von Lyrik leben kann stirbt nicht aus, und auch Gragera muss sie an diesem Abend und vermutlich nicht zum ersten Mal beantworten. Er habe nicht den Anspruch von der Lyrik zu leben, sagt er, aber er will einer Arbeit nachgehen, die zu seiner Berufung als Dichter passt. Für Gragera besteht diese Möglichkeit aus Übersetzungen. So übersetzt er z.B. Emily Dickinson und Louise Glück ins Spanische.

Tapfer beantwortet Gragera auch nicht so originelle Fragen überlegt. Natürlich denke er nicht an ein Zielpublikum, an einen idealen Leser, aber er kultiviere seine innere Stimme, die er durch die eigene Lektüre geschult habe und weiter schule, die ihn demütig sein lässt und kontrolliert, was er schreibt. Es ist keine ganz einfache und auch keine vollkommen risikolose Kohabitation mit der Stimme, denn manchmal stoppe sie ihn auch und ersticke Schreibphasen. Die Tradition, sagt Abraham Gragera, ist wichtig, das Handwerk.

Die Übersetzung der spanischen Gedichte trägt Thomas Streipert vor. Es sind sehr bewegende Gedichte, sehr besondere Gedichte. Da ist z.B. ein Gedicht über eine Todgeburt, der Partner der Gebärenden erzählt wie er nicht begreifen kann, was da geschieht, was geschehen ist. Wie er schließlich Schutz sucht in einem Zitat von ihr. Als wäre er derjenige, der des Trostes bedarf (und das ist er ja auch trotz allem). Gerade weil er weiß, dass alles Leid ihres ist. Ein sehr differenziertes und schmerzhaftes Gedicht. Es sind Gedichte von Verlust und Vergänglichkeit, vom Leben und vom Tod, vom Licht und vom Schatten. Requiem folgt auf Requiem. Wer eine sehr gute und kenntnisreiche Analyse der Gedichte, jedenfalls derjenigen, die unter dem Titel „Die weniger einsame Zeit“ im der Edition Lyrik Kabinett bei Hanser übersetzten Gedichte Grageras lesen möchte, dem sei der Artikel von Matthias Friedrich auf lyrikkritik sehr empfohlen.

 

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